Die Frage, ob man vorm Laufen unbedingt ein Warm Up machen sollte, lässt sich nicht so einfach mit „Ja“ oder „Nein“ beantworten. Es kommt eben – wie so oft – darauf an. Und wie so eine Erwärmung überhaupt aussehen sollte, ist noch einmal ein ganz anderes Thema. Noch immer sieht man Läuferinnen und Läufer am Straßenrand, die sich minutenlang dehnen oder pseudomäßig ein paar Armkreise machen. Doch macht das wirklich Sinn?
Generell unterscheidet man zwischen einem allgemeinen und einem spezifischen Warm Up, die jeweils unterschiedliche Reaktionen auf körperlicher und mentaler Ebene auslösen. Die allgemeine Erwärmung zielt im Großen und Ganzen darauf ab, optimale Leistungsvoraussetzungen zu schaffen und das Verletzungsrisiko zu vermindern. Durch die Bewegung großer Muskelgruppen bei geringer bis moderater Intensität wird das gesamte Herz-Kreislauf- und Atmungs-System angekurbelt, das zentrale Nervensystem „wachgerüttelt“, die Körperkerntemperatur erhöht und auch mental für einen günstigen Vorbereitungszustand gesorgt. Die „funktionellen Möglichkeiten des Organismus“ sollen also insgesamt auf ein höheres Niveau gebracht werden.
Vor allem die Erhöhung der Körpertemperatur ist von entscheidender Bedeutung. Durch Muskelarbeit kommt es zu einer stark erhöhten Wärmeproduktion, weshalb die Körperkerntemperatur nach fünf bis 20 Minuten auf 38,5°C bis 39°C ansteigt. Diese Temperatur ist optimal für eine ganze Reihe von akuten Anpassungserscheinungen. Laut der RGT-Regel (Reaktions-Geschwindigkeits-Temperatur-Regel) steigt die Geschwindigkeit der Stoffwechselvorgänge mit zunehmender Temperatur an.
Das bedeutet, dass der Stoffwechsel in seiner Gesamtheit beschleunigt wird, die Gefäße sich erweitern und die Durchblutung der Muskulatur gesteigert wird. Dadurch wird die arbeitende Muskulatur besser mit Sauerstoff versorgt und die Kontraktionsgeschwindigkeit bis zu 20% erhöht. Außerdem kommt es zu einem Anstieg der Leitungsgeschwindigkeit. Dies bewirkt wiederum, dass sich Reaktionsgeschwindigkeit, Koordination sowie Präzision verbessern.
Der Anstieg der Körpertemperatur sorgt auch maßgeblich für die vielfach belegte Verletzungsprophylaxe, also das Vorbeugen von Verletzungen. Muskulatur, Sehnen und Bänder werden insgesamt elastischer. Außerdem kommt es zu einer erhöhten Produktion der Gelenkflüssigkeit, sodass Druck- und Scherbewegungen besser abgepuffert werden können. Durch diese akuten Adaptationen sinkt die Anfälligkeit für Verletzungen des aktiven und passiven Bewegungsapparats.
Nach dem allgemeinen Aufwärmen schließt sich das spezifische bzw. spezielle an, das diejenigen Muskelgruppen aktivieren soll, die für die jeweilige Sportart von Bedeutung sind. Beim Laufsport sind das nicht nur die Beinmuskeln, sondern auch der Rumpf sowie Schulter- und Armmuskulatur. Bewährt hat sich das schon aus dem Schulsport bekannte Lauf-ABC. Bei Übungen wie Anfersen, Kniehebelauf oder Hopserlauf wird die Laufbewegung in einzelne Teilbewegungen aufgegliedert und akzentuiert trainiert. Durch die Wiederholung isolierter Bewegungsbestandteile wird der Laufstil ökonomischer, da sich die inter- und intramuskuläre Koordination, das neuromuskuläre Zusammenspiel sowie die muskuläre Effizienz erheblich verbessern.
Außerdem sollte das laufspezifische Warm Up durch dynamische Mobilisationsbewegungen wie Fußgelenk-, Hüft-, Schulter- und Armkreisen ergänzt werden So werden Gelenke auf die benötigte ROM, die Range of Motion, vorbereitet. Klassisches Dehnen (Stretching) sollte kein Bestandteil der Erwärmung vorm Laufen sein. Zum einen gibt es keine wissenschaftliche Evidenz, dass Dehnen der Verletzungsprophylaxe oder dem Vorbeugen von Muskelkater dient. In zahlreichen Studien konnte nachgewiesen werden, dass keine langfristigen Effekte auf die Muskel- oder Sehnenarchitektur durch statisches Dehnen zu verzeichnen sind.
Nur, weil im Schul- und Vereinssport teilweise hartnäckig daran festgehalten wird, heißt es nicht, dass es richtig oder gar sinnvoll ist. Denn zum Anderen verringert sich kurzzeitig die Steifigkeit (Stiffness) von Muskulatur und Sehnen durch die Anpassung des Nervensystems. Dadurch kann es zu einer ungewollten Instabilität z.B. des Sprunggelenks kommen, die vor allem bei Läufen auf unebenen Untergründen wie im Wald zum Nachteil werden kann.
Eine Erwärmung ist also in jedem Falle vorteilhaft, aber trotzdem nicht unbedingt vor jeder Laufeinheit notwendig.
Fakt ist, dass keine optimale oder gar Bestleistung ohne eine vernünftige allgemeine und spezifische Erwärmung abrufbar ist. Außerdem steigt ohne ein Warm Up das Risiko für Verletzungen des aktiven und passiven Bewegungsapparats. Dies erklärt sich durch den Zustand von Sehnen, Bändern, Muskeln und Gelenken, aber auch durch die verminderte Koordinations- und Reaktionsfähigkeit. Sinnvoll ist das Aufwärmen also immer!
Allerdings ist nicht jedes Training als potentiell gefährlich einzustufen. Und oftmals müssen auch keine maximalen Leistungen erbracht werden. Es ist also durchaus vertretbar, dass auf ein Warm Up bei lockeren Dauerläufen im vorwiegend aeroben Bereich verzichtet werden kann. Es empfiehlt sich, die Geschwindigkeit während der Laufeinheit zu steigern, also langsam anzufangen und dann immer schneller zu werden. Beim Intervalltraining, Trailrunning oder gar in Wettkampfsituationen ist ein Aufwärmen obligatorisch und sollte gut auf die Anforderungen während der Trainingseinheit oder des Wettkamps abgestimmt sein.